Sidney und Göpf - zwei besondere Typen

Konzertkritik

| Koni Ulrich

Angesagt war eine Jazz-Matinée mit Fokus auf dem Klarinettisten Sidney Bechet. Geboten wurde ein mitreissendes Konzert mit witzigen Querverweisen auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem Musiker und dem Literaten Gottfried Keller.

Trotz Fastnacht allenthalben und gestaffelten Sportferien in der Region fanden sich am Sonntag gut 40 Interessierte im Saal des Gottfried Keller-Zentrums ein, um sich die Songs von Sidney Bechet anzuhören. Interpretiert von fünf bestandenen Musikern aus der Region Zürich, den «Wizards of Creole Jazz». Was das Publikum nicht wusste: Klarinettist Thomas Gilg war früher Sekundarlehrer gewesen und hatte sich im Vorfeld des Konzerts mit den zwei Figuren, dem Musiker aus den Südstaaten und dem Literaten Gottfried Keller auseinandergesetzt. Davon profitierten nun alle. So hörte man, dass der sieben Jahre nach Kellers Tod geborene Sidney Bechet im Gegensatz zum anderen ziemlich reiselustig gewesen war. Hatte Letzterer nicht einmal das Tessin oder die Romandie gekannt, so verbrachte der amerikanische Musiker ganze zehn letzte Jahre seines Lebens in Paris. Viele der am Sonntag interpretierten Melodien hatten denn auch französische Titel. «Si tu vois ma mère» ist Bechets Mutter gewidmet und Klarinettist Gilg wusste, dass auch Kellers Beziehung zur Mutter lebenslang intensiv gewesen war. So lange es möglich gewesen war, hatte dieser mit Mutter und Schwester sogar im gleichen Haushalt gelebt.

Cafard oder Blues?

Ein anderer eindringlicher Titel, «Après le cafard», zeigte auf, dass auch nach dem grossen Kater das Leben weitergeht, die trübsinnige Stimmung ein Ende hat, der Blues längerfristig überwunden werden kann. Zur witzigen Nummer «Madame Bécassine» präsentierte Gilg prompt eine frühe farbige Zeichnung Kellers mit dem Titel «Der träumende Realist», welche einen verspielten menschlichen Vogel mit langem Schnabel darstellt. Bechet habe als Creole ein leicht besseres Leben gehabt, verglichen mit den Schwarzen in den Südstaaten anfangs des letzten Jahrhunderts, erklärte Gilg. In der Musik vermischt sich bei den Creolen häufig der Swing mit dem langsamen Rumba, was zu einzigartigen, oft melancholischen Liedern führt. Eine weitere Verbindung zwischen Musiker und Dichter besteht darin, dass sich sowohl Bechet (mit einer Briefmarke) wie Keller mit der alten Zehnernote ein kleines Denkmal für die Ewigkeit geschaffen haben. «Le vieux bateau» besingt ein halb verfaultes Fischerboot, welches man sich auch an der Tössegg vorstellen könnte und zu guter Letzt durfte die kleine Blume, der wohl bekannteste Titel von Bechet, natürlich nicht fehlen. Genau, und wie war das noch gewesen mit dem jungen Keller? Gemäss seinem Gedicht «Der Taugenichts» brachte ein junger Bursche seinem Vater, einem Fahrenden, eine selber gestohlene Blume nach Hause und erntete dafür Prügel. Weil jener lieber einen Fisch zum Braten gesehen hätte. Die Welt ist manchmal ungerecht. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, liess es sich noch einmal herrlich träumen zur Melodie von «Petite Fleur», der Zugabe der Wizards of Creole Jazz.

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