Klassiker mit Doppelleben

Duo Nina Ulli und André Desponds

| Koni Ulrich

Strafmusik für Gefängnisinsassen, Taschenspielertricks im Publikum, dunkle Flecken im Lebenslauf: die klassische Musik kann auch weniger brav. Erzählte und vor allem gespielte Müsterchen von Nina Ulli und André Desponds brachten das Publikum im GKZ zum Staunen und Schmunzeln.

Düstere bis kriminelle Geschichten war man sich bis anhin eher von den Protagonisten der Punkerjahre in London oder Berlin gewohnt. Dass auch die Klassik von ihrem Image der Wohlerzogenen loskann, zeigten Nina Ulli (Viloline) und André Desponds am Sonntagabend im Saal des Gottfried Keller-Zentrums. Sie spannen ihre ausgewählten Klassikertitel rund um schräge bis düster-kriminelle Einführungen herum, welche auch vor grossen Namen wie etwa Paganini, Chopin oder Dworschak nicht Halt machen. Beim einen blieb es bei Taschenspielertricks, welche das Publikum während der Konzerte um ihr Kleingeld brachten. Oder in Florida sollen eine Zeitlang die schlimmsten Straftäter dank klassischer Berieselung auf bessere Wege gebracht worden sein. Ganz schlimm soll es aber um den Geiger Paganini gestanden sein, war da etwa zu hören, denn während rund sechs Jahren seines Lebenslaufs klaffe bis heute eine blanke Leerstelle, während derer sich der ansonsten gefeierte Musiker schlicht unsichtbar gemacht hatte. Krass auch das Gerücht über den Umgang mit seiner Geliebten, die der Geiger umgebracht haben soll, um danach mit den Gedärmen der Toten seinen Geigenbogen zu bespannen. Spätestens hier gemahnt die Vernunft, diese Anekdoten einstweilen ruhen zu lassen.

Gefühl – Tempo und Improvisation

Bereits bei Chopins Walzer in Cis Moll ist da einerseits das wunderbar gefühlvolle Zusammenspiel des Pianisten mit der Geigerin auszumachen, dringt aber anderseits bereits die ungemeine Improvisationslust von André Desponds durch. Der Pianist ist unter anderem bekannt dafür, dass er Stummfilme live am Klavier vertont. Er lässt diesmal den zunächst gemächlichen Walzertakt fast unmerklich in luftig tanzende, ansonsten eher dem Ragtime-Pianisten Scott Joplin zugeordnete Rhythmen aufsteigen, um danach wieder zu ihrem Ursprung zurückzufinden. Im zweiten Teil des Konzerts setzt sich Nina Ulli diskret an der Bühnenseite und überlässt dem Tastenmann das Geschehen. Der fordert das Publikum auf, irgendwelche Melodien oder Komponistennamen zu nennen, wie bei einem Wunschkonzert. Der Mann hat Nerven – was für ein Risiko geht er ein? «Kriminaltango, Zauberflöte und Miles Davies» heisst es aus dem Publikum. Daraus fabriziert der begnadete Pianist innert Sekunden eine einzige längere Sequenz, während der er immer wieder in die eine oder andere Passage der genannten Themen steigt, um sie gleich wieder zu verlassen. Die Harmonien des Jazztrompeters Davies darin zu entdecken, ist dann schon eher den Fortgeschrittenen vorbehalten.

Nach dem Wunschintermezzo geht’s munter weiter. Das Duo kennt sich aus vielen Konzerten und harmoniert entsprechend. Sowohl zarte, fast gehauchte Töne in allen Höhenlagen der Geige, wie feurige Tanzmusik: das Piano verlässt hier zwar die Selbständigkeit von vorhin, bietet aber auch den höheren Tempi der Violine Paroli oder eben, schmiegt sich den leiseren, verträumteren Tönen an. Dieses Duo ist mit Herz und Seele bei seiner Musik. Eine Randnotiz zum Schluss: Wenn André Desponds nicht gerade improvisiert, hat er bis zu fünf Notenblätter nebeneinander vor sich. Nina Ulli hätte ihre Noten auf dem Tablet auch vor sich. Allein, sie scheint keine Zeit zu haben, hinzugucken.

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