Welche Hiobsbotschaft kommt als nächstes?

Kiesabbau in Zweidlen Station

| Ruth Hafner Dackerman

Zuerst der Schock über das geplante Endlager – nun eine erneute schlimme Botschaft. In Zweidlen Station soll demnächst Kies abgebaut werden. Betroffene Anwohner wehren sich.

Für Michael Meier* (Name geändert, richtiger Name der Redaktion bekannt) ist klar, dass es so nicht weitergehen kann. Seit sechs Jahren wohnt Meier mit seiner Familie in Zweidlen Station, fühlt sich wohl in der ruhigen Umgebung mit Feldflächen und Wald. Die Medienmitteilung, dass demnächst auf dem ganzen Gebiet Neuwingert-March durch die Firma Toggenburger Kies abgebaut werden soll, stösst bei den Anwohnern auf Entsetzen. Während 30 Jahren soll die Ausbeutung erfolgen, weitere zehn Jahre sind für die Auffüllung geplant. Diese Tätigkeiten sind mit viel Emissionen verbunden – darunter Lärm und Staub. Die Lebensqualität der Anwohner dürfte sinken.

Vor kurzem wurde eine Einwendung zum Entwurf des Kantonalen Gestaltungsplans «Kiesabbaugebiet Neuwingert – March» beim Amt für Raumentwicklung eingereicht, unterzeichnet von 155 mehrheitlich direkt Betroffenen. Moniert werden unter anderem folgende Aspekte. So liege das geplante Abbaugebiet mit teilweise nur acht Metern Abstand viel zu nahe am Wohngebiet. Zudem sei mit erheblichen Emissionen zu rechnen. «In der Realität ist der Lärm stark abhängig von den erdbewegenden Arbeiten und äusseren Faktoren wie den häufigen Westwindlagen.» Die Geräusche von Metall auf Stein seien äusserst unangenehm und könnten der Bevölkerung nicht zugemutet werden. Zudem sei mit einer massiven Staubentwicklung zu rechnen.

Befürchteter Wertverlust von Immobilien

Befürchtet wird ein Wertverlust der Immobilien am betroffenen Standort. Neben Steuererhöhungen, dem geplanten Atomendlager und dem Verladebahnhof für radioaktive Abfälle sei die Grenze des Erträglichen erreicht. «Als wir hier gebaut haben, wussten wir zwar, dass ein Richtplan besteht. Dass gerade nun Kies abgebaut werden soll, hat uns alle geschockt», so Meier. Die betroffenen Anwohner hätten sich gewünscht, dass die Firma Toggenburger eine Informationsveranstaltung für die Bevölkerung durchgeführt hätte. Ein Vorwurf geht auch an die Seite des Kantons. «Es ist sehr unsensibel, dass man uns neben dem Tiefenlager auch noch das Kiesabbauprojekt aufbürdet.»

Die Einwendung greift zudem die Sicherung des Schulwegs auf. Die Ein- und Ausfahrt der Kiesgrube kreuze den Fahrradschulweg der Kinder und könne zu gefährlichen Situationen führen. Auch der ökologische Aspekt sei zu berücksichtigen. So sei 2022 im Kanton Zürich die Initiative zur Kreislaufwirtschaft angenommen worden. Dabei gehe es um die bevorzugte Wiederverwertung von Materialien und nicht um weitere Ausbeutung natürlicher Ressourcen. «Diese Ausbeutung ist aus unserer Sicht nicht zulässig oder sollte auf Gebiete konzentriert werden, bei welchen keine Belastung für die Wohnbevölkerung entsteht.»

Das Hauptziel der Unterzeichnenden ist die Stilllegung des Projekts. Sollte dieses Ziel nicht erreicht werden, gehe es um eine deutliche Redimensionierung unter Berücksichtigung der Anwohnerinteressen. Die Hoffnung liegt nun einerseits bei der Gemeinde Glattfelden, von welcher sich die Betroffenen Unterstützung erhoffen, andererseits beim zuständigen Regierungsrat des Kantons, Martin Neukom. «Regierungsrat Neukom ist auch im Thema Endlager involviert. Wir hoffen, dass er für unser Anliegen Verständnis zeigt. Genug ist genug.»

Der Kampf David gegen Goliath kann beginnen. Der Gestaltungsplan wird erneut öffentlich aufgelegt. Dann kann Einsprache erhoben werden. Vom Baurekursgericht über das Verwaltungsgericht bis zum Bundesgericht – ein langer Weg steht den Rekurrenten bevor, mit ungewissem Ausgang.

Firma Toggenburger bezieht Stellung

Die Firma Toggenburger nimmt auf Anfrage wie folgt Stellung. Seit über 80 Jahren gewinne man in Glattfelden Kies – seit 17 Jahren aus der Grube Neuwingert. Das neue Teilgebiet March sei eine Erweiterung der bestehenden Grube und werde entsprechend gleich erschlossen. «Die Erweiterung wurde 2009 nach einem politischen Prozess und mit der Unterstützung der Gemeinde Glattfelden im kantonalen Richtplan als Materialgewinnungsgebiet festgesetzt und ist ebenso Teil des im Jahr 2013/14 erstellten Gesamtkonzepts Windlacherfeld/Weiach. Der Richtplan sichert den kantonalen Bedarf an Kies und Auffüllvolumen für circa 30 Jahre», lässt sich Geschäftsführer Truls Toggenburger zitieren. Die notwendige Umweltverträglichkeitsprüfung sei im Rahmen des kantonalen Gestaltungsplanverfahrens durchgeführt worden. «Die Staub- und Lärmemissionen, welche ein Kiesabbau in einem gewissen Ausmass mit sich bringt, dürfen natürlich die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte nicht überschreiten.» Im Vergleich zu anderen Abbaugebieten enthalte der Rohkies aus der Grube Neuwingert/March sehr wenig Feinanteile. Dies ermögliche eine Verwendung als ungebundenes Gemisch sowie Wandkies. «Beide Produkte finden im Strassenbau Verwendung und können nicht in anderen Gruben hergestellt werden.» Zwar konnte der Anteil an Recyclingkomponenten gesteigert werden, «doch ohne Primärkies wird es auch zukünftig nicht gehen». Mit dem Kiesabbau gehe auch die Schaffung von naturnahen Lebensräumen in Form von Wanderbiotoben einher.

Gemeinde setzt sich für Sicherung des Schulwegs ein

Auch die Gemeinde Glattfelden nimmt Stellung. Seit geraumer Zeit sei öffentlich bekannt, dass im besagten Gebiet Kies abgebaut werden könnte, äussert sich Gemeindeschreiber Valentino Vinzens. Grundsätzlich unterstütze die Gemeinde den Kiesabbau im vorgesehenen Umfang. «Kies ist für uns alle ein unverzichtbarer Rohstoff, und ein Abbau in der Region reduziert lange Transportwege.» Der Gemeinderat habe aber auch Verständnis für die Befürchtungen der Anwohner. «Wir wollen im Rahmen des Baubewilligungsverfahrens ein besonderes Augenmerk auf flankierende Massnahmen und Auflagen richten, mit denen die Belastung für die Anwohnenden reduziert werden kann.» Mit Nachdruck wolle man sich für die Sicherheit der Schulkinder einsetzen. Wichtig sei der Dialog zwischen den Betroffenen und dem Unternehmen. Die Behörde biete an, als Vermittlerin zu wirken. In welcher Form und Höhe für die Gemeinde finanzielle Vorteile entstehen, sei noch nicht abschliessend geklärt. Dies hänge von den genauen Abbaumengen und dem steuerlichen Sitz der Abbaufirma ab.

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