Aus dem Wohntraum im Grünen wird ein Albtraum

| Ruth Hafner Dackerman

Sichtschutzwände fünf Jahre nach dem Bau der neuen Siedlung in Zweidlen sorgen bei etlichen Mietern für grosse Aufregung. Statt Sonne und freie Sicht ist es bei ihnen nur noch eins – düster im Innern, dunkel auf der Terrasse.

Eigentlich ist die vor fünf Jahren entstandene Siedlung in Zweidlen Station hübsch. Inhaberin ist die Asga Pensionskasse. Zu mieten gibt es helle, grosszügige Wohnungen. Für Kinder stehen ausreichend Spielmöglichkeiten zur Verfügung. Geschlungene Pfade, kleine Bäume, Sitzbänke – hier fühlt man sich beinahe ein wenig wie im Paradies. Vor kurzem ist aus der Idylle für zehn Parteien ein Albtraum geworden. Abzüglich vielleicht jener wenigen Mietparteien, welche den fehlenden Sichtschutz monierten. Denn die Verit Immobilien AG, für die Verwaltung zuständig, fuhr mit grossem Geschütz auf. «Da die Wohnungen im Erdgeschoss zum Gehweg ziemlich exponiert sind, haben wir diverse Rückmeldungen erhalten, dass sich einige Mieter unwohl fühlen. Aus diesem Grund haben wir einen Gartenbauer damit beauftragt, einen Sichtschutz für die Erdgeschoss-Wohnungen zu erstellen. Es freut uns, dass wir die Privatsphäre der Mieter verbessern können», hiess es in einem Schreiben vom 16. September 2022, welches der Redaktion vorliegt.

Tristesse aus Schatten und Käfiggefühl

Fritz Thorwald ist einer der betroffenen Mieter. Der 80-Jährige wohnt mit seiner Frau Liselotte seit vier Jahren in einer Parterrewohnung und fühlte sich bis zu diesem Zeitpunkt sehr wohl. Am 16. September letzten Jahres um 14 Uhr habe er den Brief der Verit Immobilien erhalten. Die Arbeiter seien aber bereits seit dem frühen Morgen am Aufbauen gewesen. «Einen Tag später, am Abend, waren sie fertig. Und wir hatten die Wand vor dem Kopf.» Die Wand – nachgemessen 1,85 Meter hoch, mit den Haltepfosten sogar 1,91 Meter – nimmt den grössten Teil des Sonnenlichts aus Wohnung und Terrasse. Wer hier den Frühling geniessen möchte, erlebt eher eine Tristesse aus Schatten und Käfiggefühl.

 

Genau gleich fühlt sich Nachbarin Sabrina Indelicato. Sie wohnt seit fünf Jahren, also von Anfang an, in dieser Wohnung. «Wir haben uns immer wohlgefühlt. Die Siedlung ist autofrei, die Kinder können spielen.» Mit ihren Nachbarn hat sie ein gutes Verhältnis. «Wir haben es schön miteinander, und es gibt keinen Grund, uns hinter Sichtschutzwänden zu verstecken.» Nun ist Sabrina Indelicato zutiefst unglücklich. Sie, die die Sonne so liebt und beim ersten Sonnenstrahl gerne ihre Terrasse geniesst, hat keinen Grund mehr, um sich auf den Frühling zu freuen. «Ich sitze im Dauerschatten. Im Wohnzimmer ist es nur noch dunkel. Ich bekomme richtig Platzangst.»

Tatsächlich erhöhte Wohnqualität?

Thorwart und Indelicato haben in der Zwischenzeit einiges versucht, um ihr Mietobjekt wieder in den ursprünglichen Zustand stellen zu lassen. «Man hat uns seitens der Verwaltung gesagt, es seien mobile Wände, welche man wieder abmontieren könne», sagt Indelicato. Mehrere Mieter wandten sich sowohl an die Verwaltung als auch an die Eigentümerin Asga. Wiederum erfolgte eine Antwort durch die Verit Immobilien mit den Worten, man könne nicht immer auf alle Mieterbedürfnisse individuell eingehen, sondern versuche, die bestmögliche Lösung für alle Mieter zu finden. «Wir sind überzeugt, dass sich diese Investition langfristig positiv auf die Privatsphäre auswirkt und so die Wohnqualität erhöht wird.»

 

Dieses Schreiben liess Familie Thorwart nicht auf sich sitzen. Am 10. Januar verfasste das Ehepaar einen Beschwerdebrief an die Asga Pensionskasse. Darin wurde darauf hingewiesen, dass die betreffende Wohnung explizit wegen der freien und hellen Aussicht ausgewählt und gemietet wurde. Beantwortet wurde dieses Schreiben einmal mehr durch die Immobilienverwaltung. Beinahe höhnisch tönt denn doch die Antwort: «Grundsätzlich entscheidet der Vermieter über Investitionen in der Liegenschaft. Auch ist dem Vermieter freigestellt, ob er die wertvermehrenden Investitionen mittels Mietzinserhöhungen an die Mieterschaft weiterverrechnet. Im vorliegenden Fall wurde darauf verzichtet.» Für Sichtschutzwände in dieser Höhe bedarf es einer Baubewilligung. Die Gemeinde Glattfelden bestätigt auf Nachfrage die baurechtliche Bewilligung vom 7. Februar dieses Jahres im ordentlichen Verfahren. Pikanterweise erfolgte die Aufforderung zur Baugesuchseingabe vonseiten Gemeinde, nachdem die Sichtschutzwände bereits erstellt waren.

Rat zur Einreichung von Klage

Aufgrund mehrerer Medienberichte meldete sich der Herrliberger Felix Stutz persönlich bei Fritz Thorwald. Er habe lange Jahre in einer Liegenschaftenfirma gearbeitet und habe zudem juristische Erfahrung. «Jede Veränderung der Mietsache – dazu gehört bei einer Wohnung im Erdgeschoss auch der Gartensitzplatz und die dortige Rundumsicht – bedarf der Zustimmung des Mieters.» Stutz rät den Betroffenen, sich an die Schlichtungsstelle in Mietsachen zu wenden und kostenlos Klage einzureichen. Durch Einreichung derselben sei man drei Jahre lang vor einer Kündigung durch den Vermieter geschützt. Eine pragmatische Lösung hat er gleich auch zur Hand. «Die Verwaltung könnte die unerwünschten Sichtschutzwände bei den betreffenden Mietern zügig demontieren und einlagern. So wäre das Problem gelöst, ohne dass man vor das Mietgericht gehen müsste.»

 

Walter Angst, Kommunikationsleiter des Mieterinnen- und Mieterverbands bestätigt diese Aussagen grundsätzlich, auch wenn es vor Gericht immer einen gewissen Interpretationsspielraum gebe. «Die massive Wertminderung aufgrund dieser Sichtschutzwände ist klar gegeben. Bei einer Klage durch die Mieter wäre die Chance auf einen Erfolg recht gross.» Vor einer Kündigung müssten sich die Mieter zudem definitiv nicht fürchten.

 

Fritz Thorwald und Sabrina Indelicato möchten eigentlich gar nicht vor Gericht ziehen und haben zudem Angst vor einer Kündigung. Noch immer hoffen sie auf das Einsehen von Eigentümerin und Verwaltung. Sie wünschen sich nur eins – dass ihre geliebte Wohnung wieder so sein wird wie früher, mit viel Sonne, freier Aussicht – einfach ein Paradies im Grünen.

Zurück