Zeit und Geld

Glattgedanken

| Christian Ulrich

… sollte man haben, denken Sie jetzt wahrscheinlich. Allerdings: Zeit haben alle, sogar alle gleichviel. Natürlich leben nicht alle Menschen gleichlang; aber ich denke an kleine Zeiträume. Für den Alltag gilt Anfang November: Wenn ich zeitig aufstehe, liegen heute bis zur Dämmerung knapp zehn Stunden vor mir. Und das sieht für alle Menschen in unseren Breitengraden gleich aus. Also könnte unser Wunsch einfach lauten: Geld sollte man haben! Nur weil die Zeit nicht von allen gleichgut genutzt wird (genutzt werden kann), kommt der Eindruck auf, die Stunde habe nicht für alle 60 Minuten.

 

Vor den Mittagsnachrichten auf Radio DRS kommen Staumeldungen. Am Ende jeder Meldung heisst es: „Zeitverlust fünfzehn Minuten“ oder „Zeitverlust eine halbe Stunde“. Als ob man Zeit verlieren könne! Was ich nicht besitze, kann ich nicht verlieren. Wenn ich die Zeit nicht nutzen kann, erscheint sie mir verloren, ist sie aber nicht. Stehe ich öfter im Stau, muss ich etwas unternehmen, damit mir das nicht als Zeitverlust vorkommt. Auch beim Skirennen wird von verlorener Zeit berichtet: „Am vorletzten Tor hat sie etwa drei Hundertstel liegen lassen.“ Wäre es so, würden ihr die drei Hundertstel im Ziel ja fehlen, was ein Vorteil wäre. Tun sie aber nicht.

 

„Ich habe keine Zeit,“ heisst also genau genommen: „Ich nutze meine Zeit anders.“ Oder: „Ich bin gezwungen, meine Zeit anders zu verwenden.“ – Aber: Die Zeit ist unerbittlich. Ich kann sie nicht stoppen; ich kann sie nicht kaufen; sie rinnt mir durch die Finger, ob ich sie sinnvoll nutze oder nicht. Country-Sänger Willie Nelson bringt in einem Song Zeit und Geld herrlich unter einen Hut: „You’ve got the money, honey – I’ve got the time.“ „Du hast das Geld. – Ich habe die Zeit“. Er ermuntert seine Freundin, ihren Cadillac zu holen und mit ihm abends in die Stadt zu fahren.

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