Seit 100 Tagen im Amt als Gemeindepräsident

| Ruth Hafner Dackermann

Marco Dindo ist seit Anfang Juli neuer Gemeindepräsident. Er erzählt über seinen turbulenten Einstieg, was ihm Kummer, aber auch Freude bereitet.

Marco Dindo, der Einstieg ins neue Amt war mehr als turbulent. Man denke an die rekordhohen Strompreise, an das geplante Endlager, an das Aus für das Wasserstoff-Projekt. Wie gut schlafen Sie noch?

Ich schlafe wunderbar, das ist für mich kein Problem. Mein Credo lautet: In der Nacht kann man nichts bewegen.

Wie ist die Stimmung in Glattfelden im Moment?

Ich empfinde die Stimmung als unterschiedlich. Persönlich erhalte ich gutes und auch differenziertes Feedback aus der Bevölkerung. Diese scheint ein gutes Verständnis zu haben, welche Themen der Gemeinderat überhaupt verändern kann. Die Bewohner Glattfeldens kommen auf mich zu, sprechen mich auch auf der Strasse an. Dies ist für mich eine neue Erfahrung, seit ich Gemeindepräsident bin. Gewisse Themen sind natürlich hoch brisant. Derzeit erlebe ich die Stimmung sehr positiv gegenüber dem Gemeinderat.

Welches ist das grössere Thema – der Strompreis oder die Nagra?

Ganz klar der hohe Strompreis. Dieser wird ab 2023 wirksam. Bis die Nagra allenfalls ihr Endlager baut, dauert es etwas länger. Deshalb liegt die Priorisierung derzeit beim Strom, ohne das Tiefenlager zu vernachlässigen. Mein Stellvertreter René Gasser und ich sind in den entsprechenden Austauschgruppen involviert. Verändern können wir gegebene Tatsachen leider nicht, doch liegt es uns am Herzen, dass es der Bevölkerung gut geht und dass wir ein offenes, freundliches Glattfelden haben. Die Bürger sollen mitreden und Feedback geben, welches wir auch sehr gerne entgegennehmen. Mitbestimmen geht bei diesen zwei Themen nicht. Innerhalb unserer Möglichkeiten bleiben wir selbstverständlich auch in diesem Bereich aktiv. Der Gemeinderat setzt sich mit allen Möglichkeiten für die Bevölkerung ein. Bei den Leserbriefen fehlen häufig die Hintergrundinformationen, um für sich die richtigen Rückschlüsse zu ziehen.

Für beide schlagzeilensorgenden Themen kann die Gemeindepolitik wenig, den Aufwand hat sie trotzdem. Ist das nicht frustrierend?

Nein. Es liegt im Eigeninteresse, dass man nahe am Ball bleibt. Natürlich ist es momentan ein riesiger Aufwand, Themenabende zu organisieren und in Kontakt mit der Genossenschaft Licht- und Kraftwerke Glattfelden (LKW), anderen Vereinigungen sowie den Verantwortlichen der Nagra zu bleiben. Während meiner Ferien letzte Woche stand ich fast täglich im Austausch mit der LKW, was für mich sehr positiv war. Die vielen Themen haben sich zugespitzt, die Bevölkerung erwartet vom Gemeinderat, dass immer sofort reagiert wird. Als Milizbehörde ist dies nicht immer einfach. Derzeit arbeite ich Vollzeit als Informatiker und schätze es sehr, dass viele repräsentative Aufgaben sowie Sitzungen am Abend stattfinden. Der aktuelle Aufwand als Gemeindepräsident beträgt momentan etwa 20 bis 30 Prozent.

Wie sieht es aus für die Zukunft? Welche Legislaturziele sollen erreicht werden?

Wir haben interessante Ziele anhand unserer eineinhalbtägigen Klausur gesetzt. Auch die Abteilungsleitungen werden in diesen Prozess involviert. Die Ziele müssen allenfalls noch angepasst werden. Danach werden diese vom Gemeinderat abgenommen, bevor wir sie an der Gemeindeversammlung vom 13. Dezember offiziell präsentieren. Was ich schon mitteilen kann: Die Einkaufsmöglichkeiten in Glattfelden und Zweidlen Station sind weiterhin ein Thema, genauso wie die Tempo-30-Zone in Glattfelden. Diese tangiert allerdings nicht die Hauptstrasse durch das Dorf. Des Weiteren ist der Ausbau Hardwald eine grosse Herausforderung. Hier gilt es, den Schleichverkehr über den Schachen und in Rheinsfelden so weit wie möglich zu verhindern. Es braucht einen gemeinsamen Effort seitens Bevölkerung, Gemeinderat und Verwaltung.

Welche Wünsche haben Sie für die nächste Zeit?

Die Bevölkerung soll dem Gemeinderat vertrauen, ihn arbeiten lassen und nicht bei jeder Möglichkeit in den sozialen Medien emotional reagieren. Statt alles auf Social Media zu diskutieren, soll man lieber mit der Verwaltung Kontakt aufnehmen, mich persönlich anrufen oder meine regelmässigen Sprechstunden wahrnehmen. Die Sprechstunde Anfang September war mit fünf interessierten Bürgern voll ausgebucht, was ich sehr geschätzt habe. Den Austausch mit dem Gewerbeverein werde ich intensivieren und aufgrund der aktuellen Stromsituation demnächst eine Einladung für einen Austausch verschicken.

Wenn Sie an alle Hürden denken, die in letzter Zeit aufgetaucht sind, würden Sie trotzdem nochmals gewählt werden wollen?

Auf jeden Fall. Die Herausforderung macht mir Spass. Man ist als Gemeindepräsident viel mehr im Geschehen und lernt viele tolle Leute kennen. Dank Austausch erhält man fundierte Informationen, was die Möglichkeit gibt, aufgrund dessen zu reagieren. Ich fühle einen erheblichen Unterschied zu meiner Tätigkeit als Gemeinderat und meiner jetzigen Funktion.

Wie funktioniert der Gemeinderat?

Der Gemeinderat funktioniert sehr kollegial. Wir sind gegenseitig offen, respektieren uns, und es macht allen Spass, ein Teil des Gemeinderates zu sein. Entsprechend gut sind die Kommunikation und der offene Austausch. Gewisse Themen bespreche ich zudem mit meiner Stellvertreterin und meinem Stellvertreter, um auch andere Meinungen für einen Entscheid einzuholen. Dies erfolgt dementsprechend auch innerhalb des gesamten Gemeinderates.

Wie soll die Gemeinde zukünftig Strom sparen?

Bei diesem Thema sind wir seit vier Wochen am Diskutieren. Was ist die optimale Lösung? Was ist effizient? Braucht es eine Weihnachtsbeleuchtung und wenn ja, in welcher Form? Wir sind momentan daran, solche Fragen zu beurteilen und werden die Bevölkerung spätestens Ende Oktober informieren. Was bereits klar ist: die Temperatur in der Verwaltung wird auf 19 Grad reduziert.

Sind Sie enttäuscht, dass das geplante Wasserstoff-Projekt der Axpo beim Kraftwerk Eglisau-Glattfelden nicht zustande kommt?

Ich persönlich finde es sehr schade, kann an diesem Entscheid allerdings nichts ändern. Es ist eine verpasste Chance, denn es war ein zukunftsweisendes Projekt.

Was gehört zu den schönsten beziehungsweise schlimmsten Erlebnissen in den letzten 100 Tagen?

Ein tolles Erlebnis war die Seniorenreise im September mit 75 Teilnehmenden. Wir sind nach Kerzers im Kanton Freiburg gefahren und haben das Papiliorama besichtigt. Negative Sachen mag ich nicht erwähnen, diese gehören zum Business. Man muss sich in dieser Funktion abschotten können und darf nichts persönlich nehmen. Wichtig ist es, Dinge zu hinterfragen und erst zu kommunizieren, wenn man genügend Fakten hat.

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