Aus «würde» und «könnte» wurde Gewissheit

Atom-Endlager

| Roger Suter

Die Nagra findet, Nördlich Lägern beim Glattfelder Weiler Zweidlen sei der beste Standort für ein Tiefenlager aller radioaktiven Abfälle aus der Schweiz. Der grüne Regierungsrat ist überzeugt, die grüne Kantonsrätin nicht.

2008 hat Martin Neukom als Präsident der Jungen Grünen noch Postkarten kreiert mit dem Text: «Lagern Sie diese Karte 100 000 Jahre an einem sicheren Ort.» Heute ist Regierungsrat Neukom überzeugt, dass es nicht darum gehe, ob es ein Endlager brauche, sondern, wo man es baue. Und das sei am sichersten im Gebiet Nördlich Lägern, wie die Nagra am Montag ausführlich begründete. Für seine Parteikollegin Wilma Willi aus Windlach sind aber noch zu viele Fragen offen: Erdgasvorkommen, bei denen unklar sei, wie sie auf heisse Brennstäbe reagierten, oder der Schutz des Tiefengrundwassers, das Richtung Rhein fliesst. Auch für Abgeltungen fehlten bislang eine konkrete Planung und die gesetzliche Grundlage.

Bis 2045 allenfalls mit dem Bau begonnen wird, sind noch viele Fragen zu klären. Die Nagra will dabei auch Antworten neuer Technologien einbeziehen.

Atom-Endlager unweit von Zweidlen

In Bern und in Stadel erläuterten die Spezialisten gestern Montag, warum Nördlich Lägern das sicherste Atom-Lagergebiet sei.

Nun ist es definitv: Die Nagra schlägt Nördlich Lägern als Standort für ein Atom-Endlager und das Windlacher Haberstal als Eingang dafür vor. Nach jahrelangen Probebohrungen auch um Glattfelden war der Entscheid für den 12. September angekündigt worden. Weil die betroffenen 18 Grundbesitzer bereits am letzten Samstagvormittag informiert wurden, verbreitete sich die Neuigkeit schon am Wochenende. Für Erklärungen, warum das zwischenzeitlich ausgeschiedene Gebiet nun doch am besten dafür geeignet sein soll, musste man sich aber dennoch bis am Montag gedulden.

Diese lieferten dann gemeinsam die Spitzen der federführenden Nationalen Genossenschaft zur Entsorgung radioaktiver Abfälle (Nagra), des Bundesamtes für Energie (BFE) und des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats Ensi – zuerst aus dem Berner Bundeshaus und dann aus dem Stadler Neuwis-Huus.

Matthias Braun, seit Mai 2021 CEO der Nagra, betonte gleich zu Beginn, es sei ein eindeutiger Entscheid allein zugunsten der Sicherheit: «Die Geologie hat gesprochen.» Der bislang bescheidene politische Widerstand der Region, wie er sich draussen durch ein Dutzend Demonstrierende der Organisationen «Kein Atommüll im Bözberg» (Kaib), «Kein Leben mit atomaren Risiken» (Klar!, e. V.) und «Nördlich Lägern ohne Tiefenlager» (Loti) manifestierte, sei kein Kriterium gewesen.

 

Die Auswertung aller 13 Kriterien spräche ganz klar für den Standort Nördlich Lägern. Hier sei die Schicht aus Opalinuston am grössten, am tiefsten unter der Erde und am weitesten von Wasser führenden Schichten entfernt. Die Spuren von Wasser, das man in dem 175 Millionen Jahre alten Gestein bei den Probebohrungen fand, sei in allen drei Gebieten «uralt», aber am ältesten in Nördlich Lägern. Deshalb könne sich die Nagra auch in ferner Zukunft auf die Dichtheit verlassen.

Erdbeben wären kein Problem

Auch die Tiefe von rund 900 Metern biete Gewähr, dass Wasser und künftige Gletscher das Lager nicht freilegten. Selbst Erdbeben wie dasjenige vom Samstag bei Mulhouse seien kein Problem, wie Felix Altorfer, Leiter Aufsichtsbereich Entsorgung im Ensi, versicherte: Das Erdinnere und die eingelagerten Behälter würden einfach mitschwingen.

Endgültig verpackt werden soll das strahlende Material im bestehenden Zwischenlager in Würenlingen (AG), wo man Synergien nutzen könne. Dadurch würden die Oberflächenanlagen in Stadel kleiner. Dies war, genauso wie der Standort Haberstal, ein Vorschlag aus den Regionalkonferenzen, die das Jahrhundertprojekt seit nunmehr 11 Jahren begleiten. Altorfer erläuterte ferner, dass die zulässige Strahlenbelastung durch ein Endlager ein Sechzigstel dessen betragen dürfe, die bei einem Transatlantikflug hin und retour anfallen würde. Die schon 2018 errechnete Belastung liege noch mindestens 100 mal tiefer.

Regierungsrat Martin Neukom, der 2008 als Präsident der jungen Grünen noch Postkarten gegen ein Endlager kreierte, schränkte zwar ein, dass es keine 100-prozentige Sicherheit gebe. Doch der Kanton setze eigene Fachgruppen ein, welche die Arbeit der Nagra weiterhin überprüften.

 

Für den Stadler Gemeindepräsidenten Dieter Schaltegger begann am Samstag eine intensive Zeit. Er erwartet aber wie seine Kollegen, dass seine Region bei diesem gesamtschweizerischen «Jahrtausendprojekt» sich einbringen kann und unterstützt wird. «Das Lager darf keinen negativen Einfluss auf unsere Lebensqualität haben.»

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