Die Sprache der Kühe verstehen

Landwirt Hansruedi Walder auf seinem Aarütihof

| Ruth Hafner Dackerman

Auf dem Aarütihof leben momentan 37 Mutterkühe mit ihren Kälbern. Die meisten von ihnen kennt Landwirt Hansruedi Walder mit Namen. Dass er die Tiere liebt, spürt man. Und die Tiere lieben auch ihren Meister.

Nach dem Mittag muss Hansruedi Walder seine Tiere von der Weide in den Stall holen, zu nass und garstig ist es am heutigen Tag. Im hellen, grosszügigen Stall gibt es Platz für bis zu 40 Kühe und ihre Kälber. Der einzige Stier auf dem Hof liegt ruhig am Boden und scheint sich nicht für den Besuch zu interessieren. Mit einem freudigen Rucken des Kopfes begrüsst dagegen Kuh «Sexy» ihren Meister. «Sie habe ich besonders gern», erzählt der Landwirt, welcher den Betrieb seit 40 Jahren führt und 1988 auf Mutterkuhhaltung umgestiegen ist. «Sexy ist sehr anhänglich und folgt mir auf Schritt und Tritt.» 850 Kilo wiegt das gutmütige Tier und ist eine Mischung aus Charolais und Limousin. «Eigentlich wollte ich ihre Mutter künstlich besamen lassen, doch der Muni sprang über das Gitter und war erfolgreich. Deshalb schien mir damals der Name «Sexy» für das neugeborene Kalb passend», scherzt Walder und lockt die Mutterkuh, welche inzwischen wie jedes Jahr selbst ein Kälbchen hat, mit einem Stück Brot. Gierig schleckt sich Sexy das Maul ab und verschlingt den Leckerbissen im Nu. «Sie frisst alles, auch Teigwaren, Salat mit Sauce und Pommes frites. 16 Jahre alt ist Sexy inzwischen – alt für eine Kuh. «Milchkühe werden durchschnittlich sechs bis sieben Jahre alt, Mutterkühe etwa acht Jahre. Nach zweieinhalb Jahren wird zum ersten Mal gekalbert. Nach neun Monaten kommt das Junge zur Welt. Normalerweise gibt es ein Kalb pro Jahr.»

Konsequent sein und immer die gleichen Wörter benutzen

Ein lautes Muhen von Mona ertönt. «Sie ist eigensinnig, will nicht gestreichelt werden», erklärt Walder das Wesen von Mona. Mit ruhiger Stimme redet er auf sie ein, gibt auch ihr ein Stück Brot, sodass sich Mona schnell beruhigt. «Die Kühe spüren, dass am heutigen Tag etwas anders ist als gewöhnlich. Es sind intelligente Tiere und sie kennen meine Stimme genau.» Wenn man mit den Tieren kommunizieren wolle, müsse man konsequent sein und immer die gleichen Wörter benutzen. «Hohoho – kommt», sagt Walder mit ruhiger Stimme, und einige der Kühe folgen ihm bis in den hinteren Teil des Stalls. «Wenn man sie mit Striegel und Bürste behandelt, gewinnen sie Vertrauen. Ich habe noch alle Kühe handzahm gemacht.» Walders Tiere dürfen im Frühling jeweils halbtageweise auf die Weide, bis sie nach zehn Tagen definitiv draussen bleiben. «Wenn sie zu viel junges Gras fressen, bekommen sie Durchfall.» Wenn die Weide abgegrast ist, verlädt der Landwirt sie auf eine andere Weide. Mit 48 Hektaren Land gibt es Platz genug. «Ich treibe die Kühe an die engste Stelle der Weide, locke sie mit Rufen. Kühe sind sehr lernfähig. Nach zwei-, dreimal Zügeln kennen sie den Ton des Traktors.»

Einige brenzlige Situationen

Obwohl Walder viel Erfahrung mit seinen Tieren hat, gab es auch schon brenzlige Situationen. «Mutterkühe sind gefährlich, wenn sie frisch gekalbert haben. Dann wollen sie ihr Junges beschützen.» Er erinnert sich an den Moment, als er ein Kalb am Ohr markieren wollte. Die Mutter stiess ihn mit dem Kopf in die Brust. «Ich war selber schuld. Ich hätte die Mutterkuh vorher einsperren müssen.» Viele schöne Momente habe er in all den Jahren erlebt. «Anhand des Muhens höre ich genau, wenn eine Mutter gekalbert hat.» Walder spürt allerdings auch sofort, wenn es den Tieren nicht gut geht. «Ich sehe, wenn ein Kalb eine Lungenentzündung hat oder die Kuh eine Euterentzündung. Dann muss schnell gehandelt werden.»

Er leidet mit, wenn ein Tier krank ist

Für Kuh Sexy mit ihren 16 Jahren heisst es bald, in der «Metzg» zu landen, denn das Euter macht Probleme. Walder hat eine Liste mit Namen, Geburtsdaten und dem Abholdatum für den Schlachthof vor sich. Die Kälbchen müssen gemäss Natura-Beef-Reglement im Alter von zehn Monaten geschlachtet werden. Bei den Mutterkühen wird das Fleisch als Rindfleisch weiterverwertet. «Anfangs war ich jedes Mal traurig, wenn eine Kuh geschlachtet wurde», gesteht der Mann mit den riesigen Händen und dem weichen Herzen. «Aber viel mehr nimmt es mich mit, wenn ein Kalb krank ist.»

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