Präventionsparadox

Glattgedanken

| Christian Ulrich

Der Fachausdruck aus der Soziologie lässt sich in Zeiten der Corona-Pandemie anschaulich erklären: „Betreibt man die richtige Prävention, tritt der Schaden gar nicht ein und man kann hinterher sagen, dass die Massnahmen umsonst waren.“ Dies erklärt Armin Nassehi, Professor für Soziologie und Berater der deutschen Regierung im Interview in der NZZ am Sonntag vom 11. Oktober.

 

Er gibt zu bedenken, dass die Wissenschaft zurzeit unter Druck immer vorne an der Front ist und darum bisweilen widersprechende – und immer nur vorläufige Antworten geben kann. Was Nassehi aber als „vielleicht die grösste Lebenslüge unserer Kultur“ bezeichnet, ist, dass wir die Illusion hätten, in einer kontrollierbaren Welt zu leben: „Wir wundern uns, diese Pandemie nicht in den Griff zu bekommen (...). Die Suche nach neuen Sicherheiten und einfachen Lösungen, man denke etwa an den Brexit oder an den neuen Nationalismus, kann man durchaus als Versuch lesen, die Kontrolle zurückzubekommen.“

 

Noch einen Fachausdruck hat mir Nassehi nähergebracht: Die Fundamentalopposition. Er meint, Corona sei eine wunderbare Gelegenheit, die herrschenden Eliten vorzuführen. Darum träfen sich in den Protestdemos auch Leute aller Schattierungen zur Fundamentalopposition gegen oben. „Aber in der Breite der Bevölkerung gibt es dafür keine Unterstützung“, fügt er an.

 

Abschliessend nimmt Nassehi Stellung zur Frage, was wir aus der Pandemie gelernt hätten: „Wir haben gelernt, dass komplexe Probleme keine eindimensionalen Lösungen kennen, und haben miterlebt, dass es zwischen medizinischen und ökonomischen Risiken Zielkonflikte gibt. (...) Und wir stellen fest, wie stark unser Alltag von vielen schlechtbezahlten Berufen abhängig ist. Wir werden sicher über die Wertigkeit von Pflegeberufen diskutieren müssen.“

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