Die hundertjährige Fahne

| Harry Nussbaumer

Der Schiessverein besitzt eine prachtvolle, hundertjährige Fahne, ein Zeuge des Patriotismus jener Tage. Am 22. August wird sie 100 Jahre alt.

 

Dass sie am 22. August 1920 eingeweiht wurde, wissen wir deshalb, weil das Thema am 3. August auf der gemeinderätlichen Traktandenliste stand: «Der Schiessverein Glattfelden stellt das Gesuch für den Fall, dass anlässlich seiner am 22. August 1920 stattfindenden Fahnenweihe ein Carussel zugelassen werde, die Bewilligungsgebühr dem Schiessverein überlassen werden möchte. Der Gemeinderat, mit Rücksicht auf die Verschleppungsgefahr der Maul und Klauenseuche beschliesst, Carussels nicht zuzulassen. Damit ist auch das Gesuch des Schiessvereins erledigt. Ein weiteres Gesuch des Schiessvereins, der Gemeinderat möchte aus seiner Mitte eine Abordnung bestimmen, mit der Aufgabe, die Feier der Fahneneinweihung mit einer Begrüssung und Ansprache einzuleiten, ist dahin zu beantworten, dass es nicht Sache des Gemeinderates, sondern des Schiessvereins sei, sich um einen Festredner umzusehen. Es handle sich im vorliegenden Falle nicht um ein Gemeinde-, sondern um ein Vereinsfest.» Trotz des frostigen Schreibens des Gemeinderates wurde die Fahnenweihe am 22. August 1920 zu einem frohen Volksfest.

 

Darüber berichtet der Aktuar des Männerchors: Am Vormittag hätten die Glattfelder Schützen zusammen mit jenen der Patensektion Bülach in der Schiessanlage um den Lorbeer geschossen. Auf den Nachmittag seien aber alle Vereine des Dorfes auf den festgeschmückten Hofplatz eingeladen worden. Um 1 Uhr begannen Vorträge und Produktionen, verbunden mit einigen Reden. Der Männerchor sang zwei Lieder: «Gruss Dir, Land der stolzen Riesen» und «Siehst Du am Abend die Wolken ziehn». Hierauf erfolgte die Enthüllung des vortrefflich und kunstvoll ausgeführten neuen Banners, das Auge und Herz aller Anwesenden erfreute. Später zogen sämtliche Vereine mit ihren flatternden Bannern durch die Strassen des reich beflaggten Dorfes. Nach dem Ende des Umzugs habe das gemütliche Vereinsleben auf dem Hofplatz seine Fortsetzung gefunden, wobei die Tanzlustigen auf ihre Rechnung gekommen seien.

 

Geschossen wurde nicht nur im Dorf. Zum Verbandsschiessen vom 15. Juli 1928 beispielsweise marschierte ein Drittel der Schützen mit Fahne und Tambour von Glattfelden nach Rorbas, die andern fuhren mit dem Fahrrad und einige Junge gar mit dem Auto. Am 5. Juli 1931 führte ein Tambour die Schar vom Dorf zur Bahnstation, geschossen wurde in Bülach.

Mitgliederschwund 1927

Welche Vereine gab es in Glattfelden zu Beginn des 20. Jahrhunderts? Der Männerchor führt seine Gründung auf das Jahr 1836 zurück, der Schiessverein auf 1862. Sicherer belegt ist die Gründung des Turnvereins im Jahre 1888. 1897 wurde der «Verein vom Blauen Kreuz» gegründet; Alkoholismus war bis weit ins 20. Jahrhundert ein zerstörerisches Problem für die Schweiz und für unser Dorf. Um 1902 gibt es schriftliche Zeugnisse zu einer männlichen Sängervereinigung «Alte Garde». Zudem belebte ein Töchterchor das Dorfleben, der 1927 wegen Mitgliederschwunds seine Auflösung bekanntgab. 1902 wurde der eher rätselhafte «Posaunenchor Glattfelden» gegründet; er wurde auch als «Christlicher Musikverein Glattfelden» beschrieben und oft im Zusammenhang mit der Blaukreuzbewegung genannt. Die letzten schriftlichen Zeugnisse seiner Existenz finden wir 1929.

 

Die Musikgesellschaft wurde am 1. August 1912 gegründet. Ein Protokoll darüber existiert nicht, doch findet sich im Protokollbuch von 1926 eine Mitgliederliste der Jahre 1912 bis 1926. Da sind die ersten zehn Mitglieder als «Gründer des Vereins» bezeichnet, mit Eintrittsdatum 1. August 1912. Aus den Reihen der 1917 gegründeten Sozialdemokratischen Partei wurden 1919 der Sängerbund und 1921 der Schützenbund gegründet. Der Sängerbund war ein gemischter Chor, der bis in die späten 1960er-Jahre existierte, der Schützenbund wurde 1999 aufgelöst. – Wir überlassen die Antwort dem Frauenverein, ob sie die Fortsetzung des 1860 gebildeten «Frauenvereins» sind.

Vereine ja, Empfänge nein

Wer heute ins Glattfelder Vereinsverzeichnis hineinschaut, findet um die 40 Einträge – das Vereinsleben ist nicht weniger aktiv als vor hundert Jahren. Ein Brauch, der über die letzten hundert Jahre erhalten blieb: Der Empfang bei der Rückkehr von eidgenössischen Festen von Musikgesellschaft und Delegationen anderer Vereine samt Fahnen Doch eines hat sich geändert: Zur Auswahl zum anschliessenden Anstossen stehen statt neun Beizen nur noch der «Löwen» und die «Traube».

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