Ist duzen trendy?

Glattgedanken

| Christian Ulrich

Im Magazin des Tages-Anzeigers vom 11. März überschreibt Essayistin und Literaturwissenschaftlerin Kaltërina Latifi ihre Kolumne mit der Aufforderung «Bitte nicht duzen». Sie gibt mir das heutige Thema.

 

Wenn ich ihre Zeilen lese, stelle ich fest, dass duzen wohl doch nicht so trendy ist, wie ich vermutet habe. Jedenfalls überzeugen mich die Gegenargumente der jungen Frau durchwegs. Als Rentner wirkt das «Du» auf mich sehr unterschiedlich, abhängig von der Person, die mich anspricht und von der Situation des Kontakts.

 

Treffe ich im Dorf auf Primarschulkinder, die meinen Gruss mit «Hoi» erwidern, denke ich: Sie grüssen wenigstens! Wenn ich das als Opa mitbekäme, würde ich aber meinem Enkelkind ganz freundlich erklären, dass man zu fremden Erwachsenen nicht «hoi» sagt, sie nicht duzt. – Ich erinnere mich, wie mich die Duz-Frage als junger Lehrer beschäftigt hatte. Ich war 27 und als Klassenlehrer an die Oberstufenschule Freienstein gewählt. Zum ersten Mal sollte ich für 13- und 14jährige Jugendliche den Chef spielen. «Wie reagierst du, wenn sie auf Gleichstellung plädieren und dich duzen wollen?», fragte ich mich. Da hatte ich eine einfache Lösung parat: Wenn mit der Anrede eine Hierarchie vermieden werden soll, dann per «Sie». Ich bereitete mich also vor, den Jugendlichen «Sie» zu sagen. Das wurde aber gar kein Thema.

 

Vor einigen Tagen in der Après-Ski-Baar in Davos fragte mich die Frau hinterm Tresen: «Was trinksch du?» und ich fühlte mich 40 Jahre jünger. Im Comic-Laden in Zürich hat mich umgekehrt das «Sie» irritiert. Ich kam zur Kasse; vor mir waren zwei junge Männer an der Reihe. Sie wurden geduzt, mit «Tschüss» verabschiedet, und dann fragte die junge Frau: «Und wie chan ich Ihne hälfe?» Da habe ich mich steinalt gefühlt und ihr den Grund erklärt. Sie lachte und sagte, darauf wäre sie nie gekommen.

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