Gottfried Kellers Sommernacht, neu interpretiert

| Martin Weber

Es dröhnt der Bohrkern unter Tage

Die Stollen breiten weit sich aus

Denn nun ruht hier in tiefer Lage

Atommüll, herrje, welch ein Graus!

Da steht ein Bunker nah am Wald

Gebinde werden rangekarrt

Die in des Schachtes Schlund schon bald

Verschwinden werden und verscharrt.

 

So lang ist‘s her, das Haberstal

Lag friedlich still im trauten Land

Das satte Grün im Sonnenstrahl,

Bestimmte das Naturgewand.

Da zog ein Flüstern und ein Pfeifen

Des Windes durch das Ährenfeld

Die Saat konnt‘ ungestört dort reifen

Und bracht‘ dem Bauern Stolz und Geld.

 

Der Niedergang der Blütezeit

Im Dorf begann schon früh zu gären,

Die Post nicht mehr dazu bereit

Dem Ort die Stelle zu gewähren.

Ein kleiner Strommonopolist

Den Preis gar in die Höhe trieb,

Verzweifelt, fassungslos im Zwist

Ein jeder nur die Augen rieb.

 

Der Steuerfuss, der höchste war

Im ganzen Zürcher Unterland

Die Reichen machten schnell sich rar

Und auch manch andrer bald verschwand.

Der Charme von Gottfried Kellers Ort

Verflogen, längst nicht mehr zu sehen

Und läg‘ der Dichter heute dort,

Er würde sich im Grabe drehen.

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