Jetzt geht es der Wolle an den Kragen

Sommerfrisur für Wölflishalder-Schafe

| Yvonne Russi

Mit den steigenden Temperaturen wurde es auch den sechs Schafen oben auf der Wölflishalde zu warm. Daher mussten sie von der Winterwolle fachmännisch befreit werden.

Im idyllischen Löchli, ganz oben auf der Wölflishalde, leben Franziska und Giuseppe Curcio. Die beiden sind Ende 2021 in unser Dorf zugezogen und haben die dort «ansässigen» Schafe gleich in ihre Obhut übernommen. Sechs sind es an der Zahl. Und sie gehören zu einer schützenswerten Schweizer Rasse, der Pro Specie Rara-Rasse der «Engadinerschafe», welche dank langfristigem Engagement der Züchter bis heute überleben konnten.

Anders als die bekannten Leistungsrassen, die meist spezialisiert auf eine Disziplin hin wie Milch oder Fleisch gezüchtet werden, ist das Engadinerschaf ein Multitalent. Es weist zwar in den einzelnen Sparten keine Rekordwerte auf, zeigt dafür aber respektable Leistungen in mehreren Bereichen.

Doch um Leistung geht es Franziska und Giuseppe Curcio bei ihren Tieren nicht. Sie lieben ihre Schafe und tragen mit ihrem Einsatz einen Beitrag an die Erhaltung traditioneller Rassen bei. Und wenn auch das Engadinerschaf mit seinen typischen Hängeohren als unkompliziert in der Haltung gilt, müssen sie regelmässig gepflegt und auch geschoren werden.

Das alljährliche Scheren sind sich die Schafe gewohnt. Trotzdem ist es nicht nur für die Tiere ein besonderer Moment, dem Beachtung geschenkt werden muss. Franziska und Giuseppe Curcio ist es wichtig, dass das Scheren für die Tiere ohne zu grossen Stress vonstattengeht. Deshalb engagierten sie für diese Aktion eigens den australischen Scherer Rodney Chotnic. Nicht, dass Rodney eigens für die sechs Engadiner Schafe eingeflogen wurde - er lebt seit 26 Jahren in der Schweiz – hat er das Scher-Handwerk von der Pike auf in Australien erlernt.

«Heute habe ich schon 150 Schafe geschert», meinte Rodney beiläufig, als er sein professionelles Equipment samt Scherplattform am Abend um sechs Uhr geübt aufstellt. Er packt das erste Schaf, legt es entschlossen und zugleich behutsam auf den Rücken und beginnt mit der Schur. Nach wenigen Minuten sitzt der Sommerschnitt und der erfahrene Scherer entlässt das Schaf auf die Weide. Dort wird es gleich von seinen Kameraden in Augenschein genommen. Sie sind unsicher. «Ist das wirklich noch unser Kollege? Er sieht anders aus und riecht auch eigenartig», deutet man ihr Verhalten. Doch das erneute Kennenlernen ist von kurzer Dauer, denn der dritte Kandidat ist an der Reihe und wird zum Scherpodest geführt.

Nach rund einer Stunde ist der «Spuk» vorbei und die Schafe geniessen mit luftigem Kleid das satte Grün der Wiese. Mit dem Schaf Nummer 156 des Schertages hat Rodney Chotnic auch Feierabend. Neben ihm liegt ein grosser Berg Schur. Doch diese Wolle ist nicht mehr so begehrt wie früher, sondern viel mehr ein Nebenprodukt. Schafe dienen heute eher als Milch- oder Fleischlieferant. In der Wölflishalden sind sie aber Landschaftspfleger. Die Schur muss trotzdem sein: Sie dient als Pflegemassnahme zum Schutz vor Parasiten.

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