Europas Feigheit

Glattgedanken

| Christian Ulrich

So ist der Artikel in „Das Magazin“ vom 23. Oktober 2021 überschrieben, der diesmal meine Gedanken total vereinnahmt. Autor Till Hein berichtet darin über eine multinationale Krisenkonferenz in Evian-les-Bains am Genfersee im Juli 1938. Aktueller Anlass für den Artikel ist der Umstand, dass Nazi-Deutschland vor 80 Jahren, am 23. Oktober 1941, seine Grenzen für die Ausreise von Jüdinnen und Juden schloss. Ist Wahnsinn: Ein Land schliesst für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe die Grenzen, damit diese Menschen festgenommen und umgebracht werden können.

 

Die amerikanische Regierung befürchtet eine humanitäre Katastrophe in Deutschland und ruft die Welt in Evian zusammen. US-Präsident Roosevelt schlägt zuerst Genf als Tagungsort vor, doch der Bundesrat zögert, will keine Konferenz im Land dulden, die Hitler missfallen könnte. Also springt Frankreich ein mit dem Nobelkurort am Genfersee. Dort treffen sich Politiker und Diplomaten aus den USA, Grossbritannien, Frankreich, der Schweiz und 28 weiteren Nationen. Dutzende Hilfskomitees, Nichtregierungsorganisationen und mehr als 200 Journalisten sind ebenfalls vor Ort.

 

Die neuntägige Konferenz schliesst, ohne dass etwas erreicht worden wäre! Europa (mit der Schweiz!) und die USA zeigen sich nicht bereit, 500'000 bedrohten Menschen Asyl zu gewähren. Platzmangel und Arbeitslosigkeit sind Ausreden; wachsender Antisemitismus trägt dazu bei. Und hier liegt der zweite aktuelle Bezug zum Thema: Heute sind 80 Millionen Menschen auf der Flucht, suchen Asyl und werden meistens im Stich gelassen. Till Hein schreibt: Statt zum Beispiel einen verbindlichen, auf Wirtschaftsleistung und Bevölkerungsdichte der Mitgliedstaaten basierenden Verteilungsschlüssel zu erstellen, lasse die EU die Schutzsuchenden in Auffanglagern vegetieren und tätige dubiose Deals mit Autokraten.

 

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