Sonntagssorgen

Glattgedanken

| Christian Ulrich

Als ich am vergangenen Sonntagmorgen erwachte, standen sogleich meine Sonntagssorgen im Raum: Schafft es heute Abend die Schweizer Fussball-Nati, ein anständiges Spiel hinzulegen? Die Frage, ob sie gewinnen oder nicht war für mich nach dem bisher Gezeigten bereits zweitrangig. Aber ich wollte die verwöhnten Söldner mal 90 Minuten rennen und kämpfen sehen, so wie es Schotten, Ungarn und Polen vorgemacht hatten. Und – kann Petkovic mal über seinen Schatten springen und hungrigen Spielern aus der zweiten Reihe von Anfang an eine Chance geben, etwa Zuber und Vargas? Solche Fragen beschäftigten mich, auch noch auf dem Weg zum Gottesdienst in der Reformierten Kirche.

 

Und dort öffnen zwei Sechstklässler einen „liegengebliebenen“ Flüchtlingskoffer, der einem gleichaltrigen Kind auf der Flucht gehören könnte. Sie finden: Ein zusammengerolltes Mätteli als Bett und eine dünne Decke, die nachts warm halten soll. Einen gasbetriebenen Anzünder, mit welchem man aus zusammengetragenem Holz ein Feuer entfachen kann. Ein Paar Sandalen. Eine Stirnlampe für den gefährlichen Marsch in der Nacht, wenn man nicht weiss, wo bewaffnete Grenz-patrouillen lauern - und ein Album mit Familienfotos, damit man nicht so allein ist. Und der offene Koffer gibt mir - an diesem Flüchtlingssonntag – Einblick in eine ganz andere Welt. Was bin ich doch für ein Glückspilz, dass ich mir solch nebensächliche Sorgen machen kann! Fussballspiele treiben mich um, derweil zurzeit weltweit 82,4 Millionen Menschen auf der Flucht sind (UNO-Bericht). Ich habe genug zu essen und ein sicheres Zuhause, während andere nicht wissen, was sie am nächsten Tag essen sollen und wo sie ein Nachtlager finden. – Es ist kein Vergehen, sich in diesen Tagen am Fussball zu freuen, aber es wäre ein Vergehen, darob die 82 Millionen zu vergessen.

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